Peter Sillem in seiner Galerie in Frankfurt, Foto: Victor Hedwig (F.A.Z.)
Bevor alle in die wohlverdiente Sommerpause reisen, erscheint eine neue Folge meiner Gesprächsreihe mit Kunst- und Kulturschaffenden. Diesmal hatte ich die Gelegenheit, mit dem international viel beachteten GaleristenPeter Sillem zu sprechen. Vor acht Jahren wagte dieser einen mutigen Schritt. Der ehemalige Geschäftsführer des S. Fischer Verlags wechselte mit 50 die Branche. In einem leerstehenden Ladengeschäft in Frankfurt am Main eröffnete er seine inzwischen erfolgreiche Galerie für internationale Fotokunst. Genau dort, in den charmanten Galerieräumen Peter Sillems, hat unser Gespräch stattgefunden – umgeben von den Fotoarbeiten Lucas Foglias und mit Blick auf das emsige Stadtleben draußen auf der Straße im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen. Noch bis zum 16. August zeigt die Galerie sehenswerte Arbeiten des amerikanischen Fotokünstlers.
Weshalb die Fotografie als künstlerisches Medium wichtiger ist denn je, auch darüber sprach ich mit dem Galeristen. Dieser kam gerade von der wenige Tage vorher beendeten „Photo Basel Messe“ zurück, die zeitgleich zur „Art Basel“ stattfand. Wie erfolgreich war rückblickend sein dort präsentierter Showroom, so meine Eingangsfrage? Dass die Art Basel und vermutlich auch ihre Satelliten das Publikum magnetisch anziehen, ist bekannt. Doch lohnt sich in Anbetracht der angespannten Weltlage und der in der Regel hohen Standkosten eine Messebeteiligung für Aussteller derzeit noch?
Galerie Peter Sillem: Lucas Foglia, „Constant Bloom“, noch bis 16.8.2025
Lucas Foglia (geb.1983) erzählt in seinen groß angelegten Projekten mit einer klaren Ästhetik so nuanciert wie einfühlsam Geschichten über Menschen in der Natur. Er erwarb 2005 den Bachelor of Fine Arts an der Brown University und 2010 den Master of Fine Arts an der Yale University. 2024 erhielt er die Guggenheim Fellowship für sein Projekt Constant Bloom. Foglias Fotografien sind in vielen Sammlungen vertreten und wurden weltweit ausgestellt, unter anderem im Fotografiemuseum Amsterdam, dem International Center of Photography, dem Museum of Contemporary Art Denver, dem San Francisco Museum of Modern Art, dem Fotomuseum Den Haag, und dem Victoria & Albert Museum, London. Er hat sechs Bücher veröffentlicht: A Natural Order (2012), Frontcountry (2014), Human Nature(2017), Summer After (2021), Living on Lava (2025) sowie Constant Bloom(2025). (aus dem Pressetext der Galerie)
Zum Einstieg dieser neuen Podcast-Reihe „en dialogue avec…“ ein kurzer Diskurs zum Schwerpunktthema von Folge01: Galerien für Gegenwartskunst sind spätestens seit den 1950er Jahren bis heute Experimentierzellen für Künstler:innen und damit Seismographen für gesellschaftliche Prozesse. Der neutral weiße Ausstellungsraum will längst mehr sein und ist mehr als nur ein Verkaufsraum für Objekte und Bilder. Was aber motiviert Galerist:innen derzeit, was treibt sie an und welche Art von Kunst fasziniert sie? Für Podcastfolge01 habe ich ein Gespräch mit Galeristin Dr. Claudia Giani-Leber führen dürfen, ihre Galerie ARTE GIANI führt sie bereits seit 31 Jahren in Frankfurt.
ZÜNDSTOFF: “SCHADET MR. TRUMP’S ZOLLPOLITIK NUN AUCH DEM INTERNATIONAL AGIERENDEN KUNSTMARKT?“
Ich treffe mich mit Galeristin Dr. Claudia Giani-Leber in ihrem Büro im Frankfurter mainBuilding. Es ist ein typischer regnerischer und damit grauer Apriltag inmitten der Finanzmetropole. Daher vermisse ich sogleich beim Betreten der Galerieräume, die inzwischen eingepackten Bilder Jutta Obenhubers. Die kahlen weißen Wände warten nun regelrecht auf die Hängung neuer Werke: Die aktuelle Ausstellung der Galerie Arte Gianiwird mit einer Vernissage am 23. April eröffnet und zeigt bis zum 6. Juni 2025 Arbeiten der Frankfurter Künstlerin Irene Hardjanegara . Über die besondere Technik sowie Wirkung von Hardjanegaras Bilder spreche ich ausführlich mit der Galeristin. Doch nicht nur über die Künstler:innen der Galerie, zugleich auch über die Funktion des Galerieraumes als Gegenpol zu einer virtuellen Lebenswelt sprechen wir und über die junge Generation potenzieller Kunstsammler:innen.
In Anbetracht der gerade veröffentlichten Zahlen, stellt sich zudem die beunruhigende Frage: steckt der Kunstmarkt in einer länger andauernden Krise? Ein kürzlich gemeinsam von der Kunstmesse Basel und der Schweizer Bank UBS veröffentlichter Bericht geht von einem Umsatzrückgang von 12 Prozent im Vorjahr auf dem weltweiten Kunstmarkt aus. Ich frage die erfahrene Galeristin Giani-Leber nach ihrer Einschätzung: Könnten Trumps angekündigten Zölle und das ständige Auf und Ab an den Börsen den Kunstmarkt in diesem Jahr zusätzlich belasten?
Blick in die eröffnete Ausstellung: Galeristin Dr. Claudia Giani-Leber mit Werken der Künstlerin Irene Hardjanegara.
Weitere Arbeiten der Ausstellung:
Irene Hardjanegara: Detail von Note to Self 11, 2021–2022, Acryl und Tusche auf Portraitleinen, H 140 x B 230 cmIrene Hardjanegara: Detail von a glimpse of a possible direction 1, 2023 Kreide auf emailliertem Stahl, H 149 x B 119 cmIrene Hardjanegara: Structure And Dynamics Of Large Scale Cascading Failure 02 2016 / 2017 (o.: ganze Ansicht, u. Detailfoto). Zeichentusche auf Papier, 150 x 241 cmFotos von Raffaele Horstmann (Abb. Werke)
„Why We Need Art Now“?, die Interviewreihe mit international schaffenden Medienkünstler*innen geht weiter: nachdem die ersten Künstlergespräche aufgrund von Covid19 leider räumlich getrennt stattfinden mussten, konnte ich Künstlerin Gabrielle Zimmermann nun in ihrem Wohnatelier über den Dächern von Stuttgart persönlich treffen. Dieser direkte Gedankenaustausch war eine besondere Freude. Hört euch die daraus hervorgegangene Audioaufnahme am besten gleich an und erfahrt so mehr über die spannenden Arbeiten der zwischen Frankreich und Deutschland pendelnden Künstlerin. Viel Spaß dabei.
Begleitend zum Interview stelle ich euch hier im Blog noch einige biografische Informationen sowie Fotos, Videos und Sounds von der Künstlerin vor.
Studiert hat Gabrielle Zimmermann eigentlich bei den Professoren Tilman Osterwold und Beat Wyss an der Universität Stuttgart. Doch schnell wurde der Kunsthistorikerin klar, dass sie ihre Sammelleidenschaft für elektronische Musik, ihr Interesse an Video- sowie Performancekunst lieber in eigene künstlerische Produktionen fließen lassen möchte. Entstanden ist inzwischen ein medial vielfältiges Werk, das autobiografische Splitter enthält und feinsinnig Fragen nach weiblicher Identität und nach Geschlechterrollen stellt, welche die Künstlerin als gesellschaftlich gesetzte Normen entlarvt, indem sie beispielsweise das Spiel der Maskerade oder eine akustische wie visuelle Überschreitung eben dieser Normen anwendet.
Wem gehört der Körper? Wer hat Zugang zu den Öffentlichen Institutionen und zur Macht? Mit Fragen wie diesen adressiert uns die Künstlerin, Jahrgang 1971, immer aufs Neue.
In ihrer Video- und Performance-Reihe „Sinnlose Tätigkeiten, mit großer Sorgfalt ausgeführt“ lässt sie uns beispielsweise hinter die verschlossenen Türen eines Labors blicken. Naturwissenschaftliche Experimente finden stets streng geheim in antiseptischen Kammern statt. Anders bei Gabrielle Zimmermann: Live vor Publikum führt sie präzise Tätigkeiten aus, welche die Methoden der Naturwissenschaft, so suggeriert es schon der surreal anmutende Titel, ad absurdum zu führen scheinen. Das Material, dem sich die Künstlerin in gleich mehreren Video- und Live-Performances widmete ist ein wahrer Alleskönner: es geht um das Material Plastik. Gleich mehrmals bearbeitete die Performerin so genannte Abfallprodukte der Industriegesellschaft, indem sie mit dem Skalpell etwa kleine Segmente aus einer Noppenfolie heraus trennte. Ein symbolischer Schnitt durch die Errungenschaften des Industriezeitalters?
Das optisch ästhetische Material, das sich bekanntlich zu unzähligen Massenprodukten verarbeiten lässt, ist allerdings zu einem großen Problem für unsere Umwelt geworden. Ihre Faszination für und ihre zugleich Kritik am globalen Plastkboom thematisierte die Künstlerin in gleich mehreren Arbeiten, wie wir im Interview erfahren.
Ich spreche außerdem mit Gabrielle Zimmermann über ihre Soundarbeit mit dem mysteriös klingenden Titel „F432“ und wir erfahren, was ihre im Rahmen der Gruppenschau „Beyond the Pain“ gezeigte Installation „Black Box“ 2020 mit der Empfindung von Schmerz, Folter sowie Lust zu tun hat. Weshalb ein dunkler Raum Schutz und leider genau das Gegenteil bedeuten kann.
Gabrielle Zimmermann: O.T. [BLACK BOX], Sound-Installation, Sound: 09:45 Min., Holzbox, 2020. Die Arbeit wurde eigens produziert für die Ausstellung BEYOND THE PAIN 2020 in der Galerie Stadt Sindelfingen (Foto: Henning Krause)
Viele Themen der Künstlerin, bemerke ich im Laufe unseres Gesprächs, sind in Anbetracht der weltpolitischen Lage, in Anbetracht des Krieges inmitten von Europa sowie der Spätfolgen von Covid19 hoch aktuell. So dürfen wir uns fragen, ob wir tatsächlich schon raus aus der Home-Office-Schleife sind, ob das sozial-gesellschaftliche Leben zum ganz normalen Alltag übergangen ist? Ob die selbst gesetzte Isolation und der Rückzug in unsere private häusliche Sphäre der Vergangenheit angehören? Mehr wird nun aber nicht mehr verraten. Zum Interviewbeitrag bitte wieder nach oben scrollen.
Gabrielle Zimmermann: Sinnlose Tätigkeiten, mit großer Sorgfalt ausgeführt, NR. 1, 2019/20, HD Video (Slowmotion-Loop)Sinnlose Tätigkeiten, mit großer Sorgfalt ausgeführt V NR. 1, 2017 Performance 60 min.; „Die Performance wurde aus einer Installation heraus für die Ausstellung „Praxis“ in einem temporären Projektraum entwickelt – unter Verwendung alter und abgelaufener Silikon-Brustimplantate“. (Foto: Oliver Herrmann)
Sinnlose Tätigkeiten, mit großer Sorgfalt ausgeführt, Video-Stills der Werkreihe: L.: IV NR.1, HD Video, 00:37:36, 2014/15; M.: III NR.1, HD Video, 01:12:49, 2013; R.: IV NR.1.1, Performance, Aktionsraum Württembergischer Kunstverein, 2015 (Foto: Oliver Herrmann)
Gabrielle Zimmermann: INSOUT, 438 MOVEMENTS, Video-Performance, ZeroTV, 438 Sek., 2021 „Eine Baustellenfolie begrenzt wie eine halbtransparente Membran einen Raum im Raum, mit 1.5 – 2m Abstand zur Wand. Die schwarz gekleidete Figur dahinter ist nur schemenhaft zu erkennen, eine verschwommene Abstraktion ins monochrome, eine Choreographie der Isolation in 438 Sekunden. Jede Bewegung pro Sekunde steht für einen Tag – 438 Tage. Es ist die Zeitspanne seit dem ersten Lockdown, der für Gabrielle Zimmermann am 15.03.2020 in Frankreich begann.“
Gabrielle Zimmermann: F432, Audiopiece, 2021 F432 entstand während des Lockdowns im März 2021. Kopfhörer oder Lautsprecher werden dringend empfohlen, damit alle Frequenzen hörbar sind.
Past, Future, Fear; Foto zur Soundreihe, 2021 „Am 02.11.2021 gehen drei Soundpieces öffentlich online. An diesem Tag jährt sich der Beginn des längsten Lockdowns in Deutschland. Diese drei Arbeiten sind nun das erste Mal frei zugänglich zu hören“. (Foto: Gaëtan Aguado)
Du findest alle drei Soundpieces von „Past, Future, Fear“ zusammen mit weiteren Arbeiten der Künstlerin in Form von Fotomaterial und einem CV auf ihrer Homepage/ CV and other Works at: www.gabriellezimmermann.de