Im Labor von Gabrielle Zimmermann


„Why We Need Art Now“?, die Interviewreihe mit international schaffenden Medienkünstler*innen geht weiter: nachdem die ersten Künstlergespräche aufgrund von Covid19 leider räumlich getrennt stattfinden mussten, konnte ich Künstlerin Gabrielle Zimmermann nun in ihrem Wohnatelier über den Dächern von Stuttgart persönlich treffen. Dieser direkte Gedankenaustausch war eine besondere Freude. Hört euch die daraus hervorgegangene Audioaufnahme am besten gleich an und erfahrt so mehr über die spannenden Arbeiten der zwischen Frankreich und Deutschland pendelnden Künstlerin. Viel Spaß dabei.

Begleitend zum Interview stelle ich euch hier im Blog noch einige biografische Informationen sowie Fotos, Videos und Sounds von der Künstlerin vor.

Studiert hat Gabrielle Zimmermann eigentlich bei den Professoren Tilman Osterwold und Beat Wyss an der Universität Stuttgart. Doch schnell wurde der Kunsthistorikerin klar, dass sie ihre Sammelleidenschaft für elektronische Musik, ihr Interesse an Video- sowie Performancekunst lieber in eigene künstlerische Produktionen fließen lassen möchte. Entstanden ist inzwischen ein medial vielfältiges Werk, das autobiografische Splitter enthält und feinsinnig Fragen nach weiblicher Identität und nach Geschlechterrollen stellt, welche die Künstlerin als gesellschaftlich gesetzte Normen entlarvt, indem sie beispielsweise das Spiel der Maskerade oder eine akustische wie visuelle Überschreitung eben dieser Normen anwendet.

Wem gehört der Körper? Wer hat Zugang zu den Öffentlichen Institutionen und zur Macht? Mit Fragen wie diesen adressiert uns die Künstlerin, Jahrgang 1971, immer aufs Neue. 

In ihrer Video- und Performance-Reihe „Sinnlose Tätigkeiten, mit großer Sorgfalt ausgeführt” lässt sie uns beispielsweise hinter die verschlossenen Türen eines Labors blicken. Naturwissenschaftliche Experimente finden stets streng geheim in antiseptischen Kammern statt. Anders bei Gabrielle Zimmermann: Live vor Publikum führt sie präzise Tätigkeiten aus, welche die Methoden der Naturwissenschaft, so suggeriert es schon der surreal anmutende Titel, ad absurdum zu führen scheinen. Das Material, dem sich die Künstlerin in gleich mehreren Video- und Live-Performances widmete ist ein wahrer Alleskönner: es geht um das Material Plastik. Gleich mehrmals bearbeitete die Performerin so genannte Abfallprodukte der Industriegesellschaft, indem sie mit dem Skalpell etwa kleine Segmente aus einer Noppenfolie heraus trennte. Ein symbolischer Schnitt durch die Errungenschaften des Industriezeitalters?

Das optisch ästhetische Material, das sich bekanntlich zu unzähligen Massenprodukten verarbeiten lässt, ist allerdings zu einem großen Problem für unsere Umwelt geworden. Ihre Faszination für und ihre zugleich Kritik am globalen Plastkboom thematisierte die Künstlerin in gleich mehreren Arbeiten, wie wir im Interview erfahren.

Ich spreche außerdem mit Gabrielle Zimmermann über ihre Soundarbeit mit dem mysteriös klingenden Titel “F432” und wir erfahren, was ihre im Rahmen der Gruppenschau “Beyond the Pain” gezeigte Installation „Black Box“ 2020 mit der Empfindung von Schmerz, Folter sowie Lust zu tun hat. Weshalb ein dunkler Raum Schutz und leider genau das Gegenteil bedeuten kann.

Viele Themen der Künstlerin, bemerke ich im Laufe unseres Gesprächs, sind in Anbetracht der weltpolitischen Lage, in Anbetracht des Krieges inmitten von Europa sowie der Spätfolgen von Covid19 hoch aktuell. So dürfen wir uns fragen, ob wir tatsächlich schon raus aus der Home-Office-Schleife sind, ob das sozial-gesellschaftliche Leben zum ganz normalen Alltag übergangen ist? Ob die selbst gesetzte Isolation und der Rückzug in unsere private häusliche Sphäre der Vergangenheit angehören? Mehr wird nun aber nicht mehr verraten. Zum Interviewbeitrag bitte wieder nach oben scrollen.

Gabrielle Zimmermann: O.T. [BLACK BOX], Sound-Installation, Sound: 09:45 Min., Holzbox, 2020. Die Arbeit wurde eigens produziert für die Ausstellung  BEYOND THE PAIN 2020 in der Galerie Stadt Sindelfingen (Foto: Henning Krause)

Gabrielle Zimmermann: Sinnlose Tätigkeiten, mit großer Sorgfalt ausgeführt, NR. 1, 2019/20, HD Video (Slowmotion-Loop)
Sinnlose Tätigkeiten, mit großer Sorgfalt ausgeführt V NR. 1, 2017
Performance 60 min.; “Die Performance wurde aus einer Installation heraus für die Ausstellung “Praxis” in einem temporären Projektraum entwickelt – unter Verwendung alter und abgelaufener Silikon-Brustimplantate”.
(Foto: Oliver Herrmann)

Gabrielle Zimmermann: INSOUT, 438 MOVEMENTS, Video-Performance, ZeroTV, 438 Sek., 2021
“Eine Baustellenfolie begrenzt wie eine halbtransparente Membran einen Raum im Raum, mit 1.5 – 2m Abstand zur Wand. Die schwarz gekleidete Figur dahinter ist nur schemenhaft zu erkennen, eine verschwommene Abstraktion ins monochrome, eine Choreographie der Isolation in 438 Sekunden. Jede Bewegung pro Sekunde steht für einen Tag – 438 Tage. Es ist die Zeitspanne seit dem ersten Lockdown, der für Gabrielle Zimmermann am 15.03.2020 in Frankreich begann.” 

Gabrielle Zimmermann:  F432, Audiopiece, 2021
F432  entstand während des Lockdowns im März 2021. Kopfhörer oder Lautsprecher werden dringend empfohlen, damit alle Frequenzen hörbar sind.
Past, Future, Fear; Foto zur Soundreihe, 2021
“Am 02.11.2021 gehen drei Soundpieces öffentlich online. An diesem Tag jährt sich der Beginn des längsten Lockdowns in Deutschland. Diese drei Arbeiten sind nun das erste Mal frei zugänglich zu hören”. (Foto: Gaëtan Aguado)

Du findest alle drei Soundpieces von “Past, Future, Fear” zusammen mit weiteren Arbeiten der Künstlerin in Form von Fotomaterial und einem CV auf ihrer Homepage/ CV and other Works at: www.gabriellezimmermann.de

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